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Kunstwart und Kulturwart — 35,1.1921-1922

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Heft 2 (Novemberheft 1921)
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Vom Heute fürs Morgen
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https://doi.org/10.11588/diglit.14434#0147

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st)iel des Tonsehers im Konzertsaal
kennt, der weiß auch, daß unter solchcn
Bedingungen der Eindrnck des absicht-
lich Grotesken im knnstlerischen Sinne
erzielt wird, während bei Erdmann
das Groteske einfach das Ergebnis der
Musrenkung seiner Stücke aus dem
Normalen darstellt und an allerlei
Außerlichkeiten festhängt, die kaum noch
mit der Kunst Verbindung haben. Erd-
mann fehlt der Humor. Er mag es
wohl humoristisch meinen, wenn er die
Stücke wechselweisc seinem Lehrer, seiner
Mutter zum Geburtstage, einigen
Damen und seinem Kater „Prptilpus"
widmet, wenn er verlangt, daß die
Katerfuge im Fünfvierteltakt wild,
schleichenö, zart pointiert, polternd nnd
drohend gehämmert werdcn soll und
tbeUn er schließlich bei einer Stelle im
dreifachen Forte erklärt, Prptilpus
werfe eine Vase um. Aber das allcn
erwünschte Lächeln des Spielers und
des Hörers bleibt aus. Die Reaktion
ist saucr auf solche Außerlichkeiten und
sauer auf die Musik. Ein anderes Ge-
sicht zeigen die Siebzehn Bagatellcn
WerkS von Alexander Iemnitz, die
Natur-Trilogie Werk 18 von Heinz
Tiessen und die Zwölf Klavierstücke
Werk 6 unÄ 8 in zwei Heften von
Emil Bohnkc. Die Lrilogie — sie
umfaßt drei nordische Landschaftsbilder
— reckt sich sogar bis zu einer Größe
und Wucht des Ausdrucks empor, wie
sie sich im ueueren Schrifttum der
Klavicrmusik nur ganz vereinzelt findet.
Es ist der Geist Vrahmsens, der aus
diescr Musik spricht, während die Ton-
sätze von Iemnitz und Bohnke trotz ihrer
Durchsichtigkeit an Regcr gemahnen.
Sie alle erfordern cinen tüchtigen, teil-
weise sogar eincn virtuosen Spieler.
Rudolf Peters in seinen Sechs
Lharakterstücken Werk 4 und Erich
Andersin seinen Vildcrn im Tages-
lauf eines Kindes Werk 2 und in
seinen Skizzen zu Andersens Mär-
chen Werk stellen technisch wesentlich
geringere Ansprüche. Sie rücken auch
weniger absichtlich vom Gebräuchlichen
ab und klingen ganz reizend. Die All-
gemeinheit hat sich stillschweigend bci-
nahe daran gewöhnt, das Abweichen
vom Gebräuchlichen schon als Beweis
für Selbständigkeit bei nnseren Iüng-
sten gelten zu lassen. Man berücksichtigt

bereitwilligst beim künstlerischen Wert-
urteil das bloße Wollen eines Ton-
sehers und wird damit leicht un-
gerecht gegen die, deren Natnr
weniger zum Experiment hinneigt,
deren künstlerischer Wille aber des-
wegen durchaus nicht geringer als bei
den anderen zu sein braucht. Es steckt
noch manches beachtliche Lalent, manches
tüchtige Können unter den Musikern,
die für gewöhnlich nur deshalb über-
sehen werden, weil irrtümlich die Be-
griffe modern nnd unmodern zu Wert-
begriffen geworden sind und beinahe
schon im Sinne von gut und weniger
gnt gebraucht - werden. Iaroslav
KriLka z. V. kann überhaupt nicht
als moderner Musiker in dem Sinne
gelten wieSchönberg oderDebussh. Abex
es muß sich jemand schon mit Haut und
Haar dem musikalischen „Fortschritt"
verschrieben häben, wenn ihm Krickas
Lustige Stücke Werk 13 nnr deswegen
nicht gefallen, weil sich Kricka abseits
vom Experiment hält. Sie fließen aus
einer echten und starken Musikernatnr
herans und tragen vor allem ihre
Lustigkeit nicht bloß im Titel, sondern
auch in der Mustk. Wenn wir uns
erst einmal wieder daran gcwöhnt haben
werden, modern und unmodern nicht
mehr als Werturteile zu gebranchen,
wenn die Tonsetzer nicht mehr fürchten
müssen, daß ihre Musik von einem
guten Teile der Beurteilenden in erster
Linie darauf hin angesehen wird, ob
sie äußerlich dem „Fortschritt" huldigt
oder nicht, dann wird auch das krampf-
hafte Musizieren aufhören, das in
Wirklichkeit kaum jemandem ernstlich
Freude bereitet. Wir haben in Deutfch-
land sicher manches Talent von der
Bedeutung der Krickaschen, aber wir
haben leider sehr wenig neue Klavier-
musik, die sich so natürlich gibt und
sich dabei mit so unverwüstlichcr Frische
äußert wie Kricka in seinen Lustigen
Stücken.

Artur Liebscher
Die Kompositionen von Schulhoff,
Erdinann und Anders sind im Ia-
tho-Verlag-Verlin erschienen, die von
Iemnitz rm Wunderhorn-Verlag-Mün-
chem die von Peters, Bohnke und
Kricka bei N. Simrock-Berlin und die
von Tiessen bei F. E. C. Leuckart in
Leipzig.

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